Die Krankheit nimmt ihren Verlauf

Die Aufspaltung des antiken Chores durch Shakespeare, seine Individualisierung. ist nicht bloßer schauspielerfreundlicher Zugewinn, sondern ein bedeutender inhaltlicher Verlust, den kein Protagonist wettmachen kann. Der Gesamtzusammenhang der auf der Bühne agierenden Figuren ist zerstört. Damit ist jede Figur auf eigenes Leid zurückgeworfen, auch befreit von Verantwortung fürein-ander.

Hier beginnt der Monolog. Die Figur friert in der Ausstoßung, krümmt sich. empfindet körperlichen Schmerz. Sie kann ihn nicht beruhigen, sondern mit der Erkenntnis wächst der Schmerz. die Unmöglichkeit, den immer noch blutenden Riß zu korrigieren. Im Fieber spürt sie ein Gift, spürt, wie sich die Wunde entzündet. Bis der Faden reißt. Panik ausbricht.

Panik. Das Verhalten in die U- oder S-Bahn Einsteigender ist schon so bedrängend geworden. daß man aussteigend die Einsteigenden über den Haufen rennt, vielmehr wollen die Einsteigenden lieber über den Haufen gerannt werden, als auch nur einen Zentimeter nachgeben. um den Aussteigenden Platz zu machen, nein, sie weichen keinen Schritt. stemmen sich dem Aussteigenden mit unverminderter Kraft entgegen, schieben ihn in den Wagen zurück, wenn dieser sich nicht in seiner Bewegung nach außen behauptet. Hier lassen sich Verhaltensänderungen beschreiben. die all diese Menschen unter einem unbestimmbaren Zwang zeigen. Es gibt keinerlei Gründe. der Zug fährt nicht früher, im Gegenteil, die Unstimmigkeiten halten den normalen Zeittakt eher auf, trotzdem hat der Druck der Einsteigenden, der Druck, in die Wagen zu kommen, zugenommen. Die »Krankheit« nimmt ihren Verlauf.

— Einar Schleef, Droge Faust Parzival

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